Trainieren im Märtyrer Park. Was haben wir gelernt?

Eine bewegte Reise ins Reich der Mitte (5 min)

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China ist uns in großen Teilen fremd. Allein die schiere Größe erzeugt eine gewisse Ohnmacht. Rasant hat sich der Riese in den letzten Jahren entwickelt. Große Bauprojekte werden in einer atemberaubenden Geschwindigkeit umgesetzt. Elektromobilität wird von jetzt auf gleich ein Muß. In den U-Bahnen laufen rund um die Uhr Grüne-Kampagnen zu Recycling, Rad statt Auto und Erneuerbaren Energien als Bildungsoffensive anstatt Werbespots. Videokameras sind nahezu an jedem Ort. Das Land scheint restriktiver und offener zugleich als in den Jahren zuvor.

Eng mit China verknüpft sind auch Taiji und Kampfkunst. Und nahezu jeder aus dem Umfeld möchte früher oder später ins Reich der Mitte. Bislang wurden diese Reisen von einzelnen Lehrern organisiert oder man begleitet einen Lehrer zu seinem Lehrern. Letzteres verlangt einiges an Vorkenntnissen in dem jeweiligen Stil. Schon allein, damit die Frustration erspart bleibt. Reisen Einzelner zu chinesisches Meistern war meist Abenteurern vorbehalten. Wir wagen das Experiment. Wie hat sich uns das Land gezeigt?

Vorbereitung ist das A und O

Nach Treffen des sympathischen, chinesischen Lehrers Hua Xiang Su in einem Kurs in Deutschland steht der Entschluss. Guangzhou in der südchinesischen Guandong Provinz ist unser Ziel. Den Flug gebucht, Airbnb durchstöbert und was gefunden, WeChat – das chinesische “WhatsApp” – installiert und das Visum in der Tasche. Los geht’s. Über WeChat senden wir unsere Ankunftsdaten und unseren etwaigen Trainingswunsch – Liu He Ba Fa und Pushing Hands. Liu He Ba Fa heisst übersetzt soviel wie 6 Harmonien 8 Methoden. Es ist eine Zusammensetzung aus mehreren Kampfkünsten und kennt rund 350 Anwendungen in der Auseinandersetzung mit Gegnern. Im Pushing Hands werden diese Anwendungen mit einem Partner geübt. Dies kann hilfreich bei der Selbstverteidigung sein oder auch einfach nur um die Formen, die man lernt, zu verstehen. Denn Taiji ist nun mal nicht wie manchmal angenommen “Tanzen im Park”.

Einfach mitmachen ist eine gute Strategie

Empfangen werden wir von unserem Lehrer nebst Sohn – wie es die chinesische Gastfreundschaft gebietet – am Flughafen und von dort in unsere Airbnb Unterkunft begleitet.

Chinesen sind vor allem eines: nennen wir es wissbegierig. Fragen über Fragen beantworten wir geduldig, nicht selten auch mit der Hilfe von Google Translate, welches zur allgemeinen Belustigung beiträgt.

Denn gut funktioniert die chinesisch-deutsche Übersetzung nicht oder was könnte dies heissen?: “Heute habe ich Ihnen viele Geschenke gegeben, und ich habe vergessen, sie Ihnen zu geben. Ich gebe es dir, um Obst für deine Reise zu geben.”  

Zwei Stunden pro Tag lernen wir Stück für Stück die Liu He Ba Fa Form. Korrekturen und Muskelkater sind inbegriffen. Die Anleitungen gibt es auf Deutsch. Dafür reichen wenige Worte aus. Ein paar chinesische Schüler machen mit. Wir staunen über die Leichtigkeit der Bewegungen und versuchen die uns innewohnende Kontrolle über uns und unseren Körper aufzugeben, damit auch uns diese Leichtigkeit erfasst. In der Stunde darauf folgt Pushing Hands. Das ist auch für die chinesischen Schüler neu. Die Anwendungen sind zwar bekannt. Mitmachen aber wollen sie nicht. Neugierig machen Passanten Fotos und manchmal trauen sie sich Fragen zu stellen. Woher kommt ihr? ist mit Abstand die häufigste Frage. Welche Fragen unserer Lehrer bekommt, bleibt uns verborgen. Aber eine gute Werbung sind wir bestimmt.

In den Pausen gesellen wir uns zu anderen Chinesen, mit denen wir u.a. chinesisches Aerobic ausprobieren. Hier wiederum staunen die Chinesen über unsere schwungvollen Bewegungen, die wir aus unseren Fitnessstudios nur alllzugut kennen. Unsere Devise ist einfach mitmachen, lächeln und es passiert etwas Seltsames. Man bekommt ein Lächeln zurück und wird ohne weitere Worte in die Gruppe aufgenommen.

10 Tage später nimmt jeder für sich seine eigene Erfahrung mit. Für den einen ist es die gleichzeitige Verbindung von Körper, Hand und Fuß für eine zielgerichtete Bewegung. Für den anderen ist es, dass eine sitzende Haltung das Körpfergewicht in der Drehung nahezu von allein in die beste Position verlagert. Der Dritte lernt einfach anhand des Pushing Hands, wie man nur allzu schnell ausgehebelt werden kann.

Es folgen Einladungen zum Essen und Gegeneinladungen. Denn Essen ist etwas sehr Wichtiges in China. Danach brechen wir nach Zentralchina auf. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was hat dich am meisten in China beeindruckt?

Rainer: “Alle Leute – ob jung oder alt – sind hier mit dem Smartphone unterwegs. Sitzend, stehend, gehend. Sogar auf der Rolltreppe zur U-Bahn wird noch gespielt. Beeindruckt hat mich auch, dass sich so viele Chinesen bewegen und Sport treiben. Besonders auch die Senioren im Park. Das würde ich mir für Deutschland auch wünschen.”

Was nimmst du mit nach Hause?

Rainer: “Zu Hause muß ich mehr geschmeidige Bewegungen trainieren und mich dehnen. So komme ich in eine sitzende Form, die im Liu He Ba Fa so wichtig ist.” 

Was würdest du anderen empfehlen?

Rainer: “Man muß es selbst erleben.“ 

Photos by Urte Zahn

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